Nicht nur schön… Die andere Ästhetik von antiken Münzen

Nicht nur schön… Die andere Ästhetik von antiken Münzen

Organisatoren
Stefan Krmnicek, Eberhard Karls Universität Tübingen
Ort
Tübingen
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
02.12.2022 - 02.12.2022
Von
Jakob Trugenberger, Universität Tübingen

Ohne Zweifel können antike Münzen ein sehr ansprechendes – eben schönes – Äußeres haben. Entsprechend dem Titel der Tagung sprachen die Referentinnen und Referenten jedoch nicht nur über ihr eigenes – subjektives – Schönheitsempfinden. Im Rahmen der interdisziplinären Tagung beleuchteten sie vielmehr unter anderem aus künstlerischer, archäologischer, kunsthistorischer, museumsdidaktischer und restauratorischer Perspektive die Bedeutung von ästhetischen Fragestellungen im Rahmen der Numismatik. Die Vortragenden betrachteten antike und moderne Kontexte und gingen aus ihren verschiedenen fachwissenschaftlichen Perspektiven nicht nur auf antike Lebenswelten ein, sondern bearbeiteten auch rezeptionsästhetische Fragestellungen. Die Veranstaltung baute dabei auf Vorarbeiten im Rahmen der online Ausstellung „Im Auge des Betrachters. Die Ästhetik römischer Münzen“1 auf. Die Grundlage für die Beiträge bildete das praxeologische Modell des Sonderforschungsbereichs 1391 „Andere Ästhetik“. Dieses erfasst die Dynamik zwischen autologischer Gestaltung und heterologischer Funktion ästhetischer Akte und Artefakte.2 Die Referentinnen und Referenten betrachteten vor diesem Hintergrund verschiedene Aspekte der Normenüberschreitung in der Wechselwirkung zwischen der autologischen und heterologischen Dimension des praxeologischen Modells.

ELLY BALTUS (Amsterdam) bot in ihrer Key Note eine primär künstlerische Perspektive auf das Thema. Sie verdeutlichte, dass die ästhetische Bedeutung von Geld und Münzen ihre monetäre Funktion überschreitet. Entsprechend ging sie nicht nur der Frage nach, was eigentlich Geld und was eine Münze sei, sondern zeigte Normen, Normenüberschreitungen und Spielräume in Gebrauch, Herstellung und Gestaltung von Münzen und Geld auf. So ging sie beispielsweise dem Portrait als überzeitlich relevantem Gestaltungselement der Münzprägung nach und wies auf den Portraitcharakter der individuellen menschlichen Stimme hin. Diese könne auf ein Speichermedium aufgezeichnet heutzutage durchaus in der Medaillenkunst eingesetzt werden. Hierbei handelt es sich um eine deutliche künstlerische Normenüberschreitung. Am Beispiel des Projektes „Art Reserve Bank“ fragte Elly Baltus außerdem danach, wie der künstlerische Wert und der monetäre Wert einer Münze beziehungsweise Medaille – als Kunstobjekt oder Zahlungsmittel – zusammenhängen. Damit zeigte sie verschiedene funktionale Aspekte der heterologischen Dimension numismatischer Objekte auf, nachdem sie zuvor zur Reflexion über ihre autologische Dimension angeregt hatte.

KATHARINA MARTIN (Münster) richtete den Blick auf den Osten des römischen Reiches und verdeutlichte die Beziehung zwischen Mensch und Objekt in Antike und Gegenwart. Sie wies anhand römischer Lokalprägungen auf verschiedene Faktoren ästhetischen Empfindens bei antiken und heutigen Betrachtenden hin. Dabei arbeitete sie unterschiedliche Funktionen des Objektes Münze als alltägliches Zahlungsmittel, Kunstwerk und Geschichten erzählendes Bildmedium heraus. Die antiken Auftraggeber bewegten sich im Spannungsfeld zwischen lokal bedeutsamen, repräsentativen Motiven und der äußeren Erscheinung, die diesen nicht immer entsprach. Denn als alltägliches Zahlungsmittel bestimmten das Material und damit der Wert sowie die künstlerische und stilistische Qualität des Stempelschnitts etc. ihr Aussehen. Für moderne Betrachterinnen und Betrachter, so hob die Referentin hervor, stünden hingegen die subjektive und biographische Dimension ästhetischen Empfindens im Vordergrund. Für die heutige Wirkung der antiken Münzbilder sei demnach häufig nicht nur die akademische Biografie, sondern auch die Geschichten, die eine Münze erzählt, und das äußere Erscheinungsbild relevant, das sich aus der Kombination von Stempelschnitt, Erhaltung und Umlaufspuren, Patina, Auflagen, Kontrast u.ä. zusammensetzt. Katharina Martin illustrierte ihren Vortrag mit zahlreichen Beispielen aus verschiedenen Städten des römischen Reiches, die das umfassende mythische Motivrepertoire lokaler Münzprägung anschaulich machten.

SIMONE VOGT (Hannover) stellte eine museale Perspektive vor, die der Wirkung auf Betrachterinnen und Betrachter ohne numismatische Kenntnisse im Kontext von Ausstellungen nachspürte. Sie hob das ästhetische Spannungsfeld zwischen einzelnem Kunstwerk und Massenprodukt bei der öffentlichen Präsentation von Münzen hervor und zeigte Probleme auf, die sich bei der Ausstellung von Münzen ergeben. Simone Vogt verdeutlichte, dass die Präsentation von Münzen in Ausstellungen aufgrund ihrer Größe, ihrer farblichen Monotonie und der Relevanz beider Seiten sehr anspruchsvoll sei und die Münzen leicht neben den anderen Objekten einer Ausstellung übersehen würden. Wegen ihres Alters, ihrem künstlerischen Wert, ihrem Material und ihrer Schönheit böten Münzen dennoch Chancen für die Gestaltung von Ausstellungen. Denn Ästhetik sei ein wesentlicher Aspekt, um die Aufmerksamkeit der Besucherinnen und Besucher zu wecken. Sie gilt es also zu verstärken und hervorzuheben. Schatzfunde mit ihrer eigenen Ästhetik als Ganzes zu präsentieren, sei hier eine Möglichkeit. Die einzelne Münze wird dann in ihrem Kontext ausgestellt, der auch einen Einblick in ihre Funktion gewährt. In aller Regel geriete jedoch die Münze als Massenprodukt bei der Gestaltung von Ausstellungen in den Hintergrund. Sie werde stärker zum einzelnen, ausdrucksstarken, in vielerlei Hinsicht besonderen Ausstellungsobjekt, das in Konkurrenz mit anderen, gegebenenfalls wirkmächtigeren Ausstellungsobjekten stehe. Simone Vogt präsentierte daher in ihrem Vortrag einige Möglichkeiten, wie die Wirkkraft von Münzen im musealen Rahmen vor diesem Hintergrund erhöht werden kann und wie auf die allgemeinen Herausforderungen einer Ausstellung reagiert werden kann. Zu letzteren gehörten insbesondere die Barrierefreiheit und der demographische Wandel. Digitale Medien könnten nicht nur dabei hilfreich sein, sondern darüber hinaus auch Aspekte der Objekte in den Blick nehmen, die durch die analoge Präsentation nicht augenfällig sind. So könnten auf digitalem Wege einerseits vergrößerungsfähige Fotos beider Seiten einer Münze bereitgestellt, andererseits Kontexte des Objekts und Aspekte seiner Funktion vermittelt werden.

HADRIEN RAMBACH (Lille) präsentierte in seinem Beitrag mit den Werken von Eugène Delacroix Beispiele für die neuzeitliche Rezeption antiker Münzen. In seinem Vortrag ging er den Münzen und Gipsabgüssen nach, die Delacroix als Vorlage seiner Lithographien dienten. Welche künstlerische Freiheit Delacroix im Blick auf die Auswahl seiner Motive angesichts der beschränkten Auswahl zur Verfügung stehender Gipsreproduktionen wirklich hatte, musste zwar offenbleiben. Dennoch verdeutlichte der Beitrag, dass Delacroix keine exakten Abbildungen der ihm vorliegenden Stücke anfertigte, sondern imitierende Repräsentationen mit Fokus auf den Motiven schuf. Die Lithographien Delacroix‘ sind daher Beispiele für eine Rezeption im Rahmen neuzeitlicher Kunst vor dem Hintergrund der eigenen ästhetischen Orientierung des Künstlers – anstelle von Reproduktion in Anlehnung an antikes ästhetisches Empfinden.

Auch OLIVIA DENK (Basel) legte einen kunsthistorischen Schwerpunkt. In ihrem Vortrag untersuchte sie antike Münzen in ihrer künstlerischen Funktion im Spannungsfeld zwischen individueller Münze und wiederkehrendem Bild, zwischen konservativen und aktuellen Darstellungen, zwischen Verlässlichkeit beziehungsweise Vertrauen und Trend. Mit Hilfe von Vergleichen zu moderner und antiker Kunst unterschiedlicher Epochen und Stilrichtungen wies sie auf künstlerische Parallelen hin und warf die Frage nach Konstanten im künstlerisch-ästhetischen Empfinden der Menschheit auf. Anhand der gezeigten Beispiele beschrieb sie unterschiedliche Quellen der künstlerischen Inspiration, wie beispielsweise die Tierwelt und die Architektur. Auch bisher häufig in ihrer künstlerischen Dimension vernachlässigte Bildelemente gerieten so in den Blick. Deutlich wurde anhand der gezeigten Münzen jedoch auch die Spannung zwischen künstlerischer und funktionaler Dimension. Erstere findet sich beispielsweise bei den Syrakuser Dekadrachmen, die teilweise eine Künstlersignatur tragen, letztere im konservativen, Vertrauen evozierenden Münzbild der Athener Drachme. Im weiteren Verlauf ihres Vortrages ging Olivia Denk auch der Rezeption von Münzbildern in Antike und Neuzeit nach – ob als eindrückliches Firmenlogo oder in der keltischen und der modernen Kunst. Doch nicht nur die Münzbilder können als Kunst begriffen werden, sondern auch Münzen und Geld selbst können durch eine Neukontextualisierung und Inszenierung zum ästhetischen Objekt in Kunst und Ausstellungen werden, wie die Referentin nicht zuletzt anhand ihrer eigenen Werke verdeutlichte.

VERONIKA DISL und LAURA LUN (München) boten eine ganz andere Perspektive, die Gründe und Arten der Restaurierung vorstellten. In ihrem Beitrag führten sie in die Techniken und Methoden ein, die sie nutzen, um aus nichtästhetischen Objekten ästhetische zu machen. Ihre Ausführungen illustrierten sie mit Bildern von durch sie restaurierten Fundmünzen. Ausgehend von diesem Zugang fragten sie nach dem Einfluss einer Reinigung beziehungsweise Restaurierung, die immer auch das Erscheinungsbild einer Münze verändere, auf die Ästhetik und wie weit diese Veränderungen gehen dürften. In diesem Kontext wiesen sie auf die unterschiedlichen funktionalen und optischen Ansprüche hin, die an die Restaurierung einer Münze gestellt würden. Diese reichten von einer Reinigung zur Wiederherstellung der Lesbarkeit über eine Konservierung bis zu Retuschen und Rekonstruktion, die zwar die Ästhetik steigern sollen, aber einen starken Eingriff in das Objekt bedeuteten.

Insgesamt leistete die Tagung einen wichtigen Beitrag dazu, antike Münzen in der Wechselwirkung von autologischer und heterologischer Dimension als ästhetische Objekte aufzufassen. Die Vorträge befassten sich bei unterschiedlicher Gewichtung mit äußeren Merkmalen und der Funktion antiker Münzen. Beispielsweise die ikonographische Gestaltung sowie materielle Beschaffenheit und Erhaltung gerieten ebenso in den Blick wie die Funktion von Münzen im antiken Alltag und in neuen modernen Kontexten. Die Referentinnen und Referenten verdeutlichten die große Relevanz des individuellen Verhältnisses zwischen Betrachterinnen und Betrachtern und den Objekten für die Ästhetik. Die Tagung brachte verschiedene Perspektiven auf die „andere Ästhetik“ antiker Münzen miteinander ins Gespräch, trug damit zur Diskussion um das Thema bei und unterstrich so den Gewinn ästhetischer Reflexionen im Bereich der antiken Numismatik.

Tagungsübersicht:

Stefan Krmnicek & Michele Lange (Tübingen): Grußworte und Eröffnung

Elly Baltus (Amsterdam): Key Note – An Artist‘s Perspective

Katharina Martin (Münster): (Nur) Funktional oder auch schön? Zur Ästhetik der sog. Roman Provincials

Simone Vogt (Hannover): Kunstwerk oder Massenprodukt – Museale Präsentationen von (antiken) Münzen

Hadrien Rambach (Lille): Delacroix and the aesthetics of his engravings of ancient coins

Olivia Denk (Basel): Im Antlitz des Schönen – Griechische Münzen als synästhetische Kunstwerke

Veronika Disl & Laura Lun (München): Zu viel des Guten? Über die Konservierung und Restaurierung antiker Münzen

Stefan Krmnicek & Michele Lange (Tübingen): Schlussworte

Anmerkungen:
1 Im Auge des Betrachters. Die Ästhetik römischer Münzen. Eine online-Ausstellung im Digitalen Münzkabinett des Instituts für Klassische Archäologie der Universität Tübingen, Tübingen 2022: https://www.ikmk.uni-tuebingen.de/eMuseum?lang=de&exhibition_id=15d=15 (13.12.2022).
2 SFB 1391 Andere Ästhetik (Hrsg.), Das praxeologische Modell einer Anderen Ästhetik, Tübingen o.J.: https://uni-tuebingen.de/forschung/forschungsschwerpunkte/sonderforschungsbereiche/sfb-andere-aesthetik/forschungsprogramm/das-praxeologische-modell-einer-anderen-aesthetik/ (13.12.2022).

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